Mühldorfer Anzeiger, 12.07.2001

Eine Station mehr oder weniger?

Waldkraiburg (hg) - Über Geschichte lässt sich trefflich diskutieren. Auch in Waldkraiburg. Die Frage hier: Welche Stationen gehören in den Waldkraiburger «Weg der Geschichte»? Welche nicht? Ein Vorschlag von Willi Engelmann, auch das heutige Brosch-Haus, ein ehemaliges Wohlfahrtsgebäude aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, aufzunehmen, wurde im Kulturausschuss abgelehnt. Die Ausschussmitglieder seien «ungenügend informiert» gewesen, sagt Engelmann und bittet Bürgermeister Jochen Fischer, das Thema noch einmal zu behandeln.

Der «Weg der Geschichte» - schon im Jubiläumsjahr hatte man sich vorgenommen, nach dem Vorbild anderer Städte in Waldkraiburg einen historischen Rundweg anzulegen. In diesem Frühjahr billigte der Ausschuss dann ein Konzept, das eine Arbeitsgruppe der Verwaltung erarbeitet hatte. Dieses sah 16 Stationen an einem elf Kilometer langen Radweg vor. An allen ausgewählten Orten und Gebäuden mit historischer Bedeutung sollten Informations- und Schautafeln aufgestellt werden.

Zu den bereits beschlossenen wurden dann drei weitere Stationen vorgeschlagen: die mehrfach umgebaute evangelische Bunkerkirche, die 1984 abgerissene katholische Bunkerkirche sowie das Brosch-Haus am Stadtplatz, eines von 14 so genannten Wohlfahrtsgebäuden auf dem Gelände des ehemaligen Pulverwerks. Das Gebäude, in dem die Beschäftigten des Werkes sich umkleiden, waschen und Mahlzeiten einnehmen konnten, wurde nach 1945 umgebaut und wird heute zu Wohn- und gewerblichen Zwecken genutzt.

Im Hinblick auf die beiden Kirchen-Stationen gab es keinen Dissens. Diese seien wichtige Symbole für die Anfänge des religiösen und kulturellen Lebens in Waldkraiburg.

Eine Diskussion gab es dagegen in Sachen Brosch-Haus. Die Arbeitsgruppe hatte vorgeschlagen, das so genannte Wohlfahrtsgebäude nicht in die Liste aufzunehmen. Es habe nicht die gleiche Bedeutung, da insgesamt 14 solcher Häuser auf dem heutigen Stadtgebiet standen.

Das Gebäude sei zudem stark umgebaut, nicht mehr erkennbar und von daher «schwierig zu vermitteln». Diese Einschätzung nahm Kulturreferentin Gertraud Kesselgruber auf. Sie verwies darauf, dass mit dem Polizeigebäude ohnehin ein ehemaliges Wohlfahrtsgebäude aus der Zeit des Pulverwerks in die Liste der Stationen aufgenommen sei, was Museumsleiterin Elke Keiper, Mitglied der Arbeitsgruppe bestätigte.

Einstimmig sprach sich der Ausschuss damit gegen diese Station aus.

Eine Entscheidung, die Willi Engelmann «sehr bedauert» und nicht nachvollziehen kann. Offensichtlich hätten die Ausschussmitglieder auf einer falschen Grundlage entschieden. Auf seine Nachfrage hin, hätten Stadträte ihm mitgeteilt, sie seien «zu diesem Thema ungenügend informiert worden», so Engelmann in einem Schreiben an Bürgermeister und Hauptausschussmitglieder. Das Polizeigebäude sei gerade kein Wohlfahrtsgebäude, sondern das Verwaltungsgebäude des Pulverwerkes im Zweiten Weltkrieg. Das habe auch sie nicht gewusst, begründet Stadträtin Susanne Engelmann, die Frau von Willi Engelmann, auf unsere Anfrage hin, warum sie in der Sitzung ebenfalls mit der Mehrheit gegen die Station gestimmt hatte.

Der Gesichtspunkt, ob es sich um ein Wohlfahrtsgebäude oder um ein Verwaltungsgebäude aus dem Zweiten Weltkrieg gehandelt hat, habe nicht im Vordergrund der Argumentation gestanden, sagt die kritisierte Museumsleiterin Elke Keiper. Aus ihrer Sicht geht es vor allem um einen Punkt: das Konzept nicht zu überfrachten, nicht zuviele zusätzliche Stationen «mit relativer Wertigkeit» aufzunehmen.

Willi Engelmann weist dem Brosch-Haus durchaus historische Bedeutung und ausreichende Relevanz für den «Weg der Geschichte» zu. Am Beispiel des Brosch-Hauses könne man «sehr gut eine Geschichte, nämlich die des Lebens und Arbeitens der Zwangsarbeiter, erzählen», schreibt er an Bürgermeister und Stadträte. Den Ursprung des Hauses als ein derartiges Gebäude könne man «noch sehr gut an dem umlaufenden Fries außen an der Fassade erkennen». Und: «Radfahr-technisch dürfte es kein Problem sein», die Station aufzunehmen. Sie liegt direkt auf dem Weg. Die Familie sei bereit, die Kosten für die Station, etwa 2500 Mark, zu übernehmen. Das das hatte Susanne Engelmann bereits im Ausschuss angekündigt.

Das heutige Polizeigebäude sei nie als Sozialgebäude genutzt worden, sagt auch Bürgermeister Jochen Fischer, der Museumsleiterin Elke Keiper um eine neue Stellungnahme zum Sachverhalt gebeten hat. Der Beschluss des Ausschusses sei «zunächst natürlich bindend», so Fischer. Er schließt aber nicht aus, das Thema noch einmal im Gremium zu diskutieren. «Wenn die Stadträte es wollen, dann kommt es auf die Tagesordnung.» (Siehe auch nebenstehende Kästen.)


1.8.2001 

Geschichtswerkstatt Mühldorf e.V.