Denkmal an die
Nazizeit in Buchform
Wenn
Elke und Günther Egger (Bild) eine Reise tun, hat das nicht immer
mit Spaß an der Freude zu tun. Oft steht ihnen dann beschwerliche
Arbeit ins Haus: das Wälzen und Sichten von alten Bänden und
Microfilmen. Denn das Mühldorfer Ehepaar hat ein ganz besonderes
Hobby: Geschichtsforschung.
Besonders angetan hat es den beiden die unselige Zeit des Dritten
Reiches. Was ist damals in und um Mühldorf passiert? Eine gebundene
Sammlung von gut 15 Jahren akribischer Forschungsarbeit liegt jetzt
in gebundener Form vor: „Der Landkreis Mühldorf a. Inn im
Nationalsozialismus” heißt das Werk der Eggers, das Ende November
vergangenen Jahres bei Rhombos, einem Berliner Fachverlag für
Forschung und Politik, erschienen ist.
Wie kamen Krankenschwester und Grünen-Stadträtin Elke (37) sowie
der Beamte an der Regierung von Oberbayern Günther (38) dazu, ihre
Freizeit ausgerechnet dem dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte zu widmen? Günther Egger hat dafür eine einleuchtende
Erklärung: „Geschichte war schon immer mein Ding. In der Schule
hat mich allerdings immer genervt, dass praktisch nie lokale
Ereignisse der Vergangenheit behandelt wurden.” Schulen, das sind
zusammen mit gleichgesinnten Experten und Laien sowie
geschichtsbeflissenen Lesern auch die Haupt-Adressaten für das
Egger-Opus.
Als der Filmemacher Rainer Ritzel Mitte der 80er Jahre einen Film über
das Bunkergelände im Mühldorfer Hart gedreht und das Zweite
Deutsche Fernsehen (ZDF) darüber einen Beitrag ausgestrahlt hatte,
fand sich alsbald ein doppeltes Dutzend Enthusiasten zusammen, das
die Geschichtswerkstatt Mühldorf aus der Taufe hob. Immer an der
vordersten Front in lokalen Archiven, aber auch Dokumentensammlungen
in München, Berlin, Wien und sogar in den USA dabei: die Eggers.
Sie stöberten sich durch abertausende Dokumente. Wie beschwerlich
diese Arbeit bisweilen ist, zeigen allein die so genannten „Mühldorfer
Prozesse”. 20 Microfilme mit jeweils rund 1.000 Din-A-4-Seiten an
verfilmten Dokumenten sind davon erhalten – eine Sisyphusarbeit.
Zumal es sich bei den meisten Niederschriften eher um banale Vorgänge
handelt. Aber dazwischen auch immer wieder Dokumente des NS-Gräuels.
Im Laufe der Jahre gelang der Geschichtswerkstatt so eine umfassende
Dokumentation der Mühldorfer Nazivergangenheit. Sowohl über das
Bunkergelände im Mühldorfer Hart, als auch über die
Konzentrationslager bei Ampfing, Mettenheim, Mittergars, Thalham und
Zangberg fanden die Hobbyforscher Dokumente des Schreckens.
Nicht weniger erschütternd gestaltete sich für die Eggers die
Suche nach Dokumenten über die Todesmärsche von KZ-Häftlingen
durch den Landkreis Mühldorf in den letzten Tagen des Zweiten
Weltkrieges. Oder die Schicksale inhaftierter Zwangsarbeiterinnen.
Oder die Schicksale von todgeweihten Pfleglingen der
Behindertenanstalt Ecksberg. Oder, oder: Über 4.000 Häftlinge sind
im Landkreis Mühldorf von Adolf Hitlers Schergen umgebracht worden.
Was die Eggers nach Jahren des Forschens am meisten bedrückt: Es
gibt an den Schauplätzen des NS-Gräuels noch immer keine Gedenkstätten,
noch nicht einmal ein paar Tafeln, die Passanten oder Besucher auf
die unrühmliche Vergangenheit aufmerksam machen.
Was für das Forscherpaar auch immer wieder zu peinlichen
Begebenheiten führt. Denn via Internet (unter der Adresse
www.geschichtswerkstatt.de) sind auch schon ehemalige KZ-Häftlinge
aus den USA und Ungarn auf die Arbeit des Mühldorfer Vereins
aufmerksam geworden.
Überraschung, Erstaunen, Betroffenheit – das seien die Reaktionen
eines ehemaligen KZ-Häftlings im vergangenen Jahr gewesen. Der
Amerikaner hatte sich auf die beschwerliche Reise in seine
Opfer-Vergangenheit gemacht, war von den Eggers ins Hart-Bunkergelände
geführt worden.
Seine Frage „Wo ist denn hier ein Ehrenmal?” konnten sie nur mit
einem hilflosen Schulterzucken beantworten.
|