Blickpunkt - Wochenblatt, 09.01.2002

 

 

Ein Buch als Denkmal an
die Mühldorfer Nazizeit

 

Das Mühldorfer Ehepaar Elke und Günther Egger hat ein spannendes, aber auch sehr belastendes und aufwendiges Hobby: Sie befassen sich mit der Geschichte des Landkreises Mühldorf in der Nazizeit. Ein jüngst erschienenes Buch fasst die bisherigen Erkenntnisse der Eggers zusammen. 

 

 


 

Nr. 03

Mittwoch, 09. Januar 2002

 

Denkmal an die
Nazizeit in Buchform

Wenn Elke und Günther Egger (Bild) eine Reise tun, hat das nicht immer mit Spaß an der Freude zu tun. Oft steht ihnen dann beschwerliche Arbeit ins Haus: das Wälzen und Sichten von alten Bänden und Microfilmen. Denn das Mühldorfer Ehepaar hat ein ganz besonderes Hobby: Geschichtsforschung.

Besonders angetan hat es den beiden die unselige Zeit des Dritten Reiches. Was ist damals in und um Mühldorf passiert? Eine gebundene Sammlung von gut 15 Jahren akribischer Forschungsarbeit liegt jetzt in gebundener Form vor: „Der Landkreis Mühldorf a. Inn im Nationalsozialismus” heißt das Werk der Eggers, das Ende November vergangenen Jahres bei Rhombos, einem Berliner Fachverlag für Forschung und Politik, erschienen ist.

Wie kamen Krankenschwester und Grünen-Stadträtin Elke (37) sowie der Beamte an der Regierung von Oberbayern Günther (38) dazu, ihre Freizeit ausgerechnet dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu widmen? Günther Egger hat dafür eine einleuchtende Erklärung: „Geschichte war schon immer mein Ding. In der Schule hat mich allerdings immer genervt, dass praktisch nie lokale Ereignisse der Vergangenheit behandelt wurden.” Schulen, das sind zusammen mit gleichgesinnten Experten und Laien sowie geschichtsbeflissenen Lesern auch die Haupt-Adressaten für das Egger-Opus.

Als der Filmemacher Rainer Ritzel Mitte der 80er Jahre einen Film über das Bunkergelände im Mühldorfer Hart gedreht und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) darüber einen Beitrag ausgestrahlt hatte, fand sich alsbald ein doppeltes Dutzend Enthusiasten zusammen, das die Geschichtswerkstatt Mühldorf aus der Taufe hob. Immer an der vordersten Front in lokalen Archiven, aber auch Dokumentensammlungen in München, Berlin, Wien und sogar in den USA dabei: die Eggers.

Sie stöberten sich durch abertausende Dokumente. Wie beschwerlich diese Arbeit bisweilen ist, zeigen allein die so genannten „Mühldorfer Prozesse”. 20 Microfilme mit jeweils rund 1.000 Din-A-4-Seiten an verfilmten Dokumenten sind davon erhalten – eine Sisyphusarbeit.

Zumal es sich bei den meisten Niederschriften eher um banale Vorgänge handelt. Aber dazwischen auch immer wieder Dokumente des NS-Gräuels. Im Laufe der Jahre gelang der Geschichtswerkstatt so eine umfassende Dokumentation der Mühldorfer Nazivergangenheit. Sowohl über das Bunkergelände im Mühldorfer Hart, als auch über die Konzentrationslager bei Ampfing, Mettenheim, Mittergars, Thalham und Zangberg fanden die Hobbyforscher Dokumente des Schreckens.

Nicht weniger erschütternd gestaltete sich für die Eggers die Suche nach Dokumenten über die Todesmärsche von KZ-Häftlingen durch den Landkreis Mühldorf in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Oder die Schicksale inhaftierter Zwangsarbeiterinnen. Oder die Schicksale von todgeweihten Pfleglingen der Behindertenanstalt Ecksberg. Oder, oder: Über 4.000 Häftlinge sind im Landkreis Mühldorf von Adolf Hitlers Schergen umgebracht worden.

Was die Eggers nach Jahren des Forschens am meisten bedrückt: Es gibt an den Schauplätzen des NS-Gräuels noch immer keine Gedenkstätten, noch nicht einmal ein paar Tafeln, die Passanten oder Besucher auf die unrühmliche Vergangenheit aufmerksam machen.

Was für das Forscherpaar auch immer wieder zu peinlichen Begebenheiten führt. Denn via Internet (unter der Adresse www.geschichtswerkstatt.de) sind auch schon ehemalige KZ-Häftlinge aus den USA und Ungarn auf die Arbeit des Mühldorfer Vereins aufmerksam geworden.

Überraschung, Erstaunen, Betroffenheit – das seien die Reaktionen eines ehemaligen KZ-Häftlings im vergangenen Jahr gewesen. Der Amerikaner hatte sich auf die beschwerliche Reise in seine Opfer-Vergangenheit gemacht, war von den Eggers ins Hart-Bunkergelände geführt worden.

Seine Frage „Wo ist denn hier ein Ehrenmal?” konnten sie nur mit einem hilflosen Schulterzucken beantworten.

 

 

 

Geschichtswerkstatt Mühldorf e.V.