Die Behindertenanstalt Ecksberg

Der NS-Staat mit seinen Vorstellungen der Züchtung einer ,,reinen Rasse" sah keinen Raum für Religion oder den unvollkommenen Menschen. Wo Hilfsmaßnahmen unumgänglich waren, sollte die nationalsozialistische Volkswohlfahrt ihren Platz einnehmen; Caritas und Innere Mission wurden zurückgedrängt. Lebensunwertes sollte dabei aus dem Weg geschafft werden.

So kam es 1933 zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses: Behinderte wurden als Volkesschädlinge gesehen; wer nicht in die Zwangssterilisation einwilligte, wurde lebenslang in geschlossenen Anstalten verwahrt. So wurden Behinderte in geschlossenen Anstalten konzentriert, was dann Hitlers tätlichen Zugriff erleichtern sollte.

1939 kam es zu der Aktion Gnadentod: unheilbar Kranken sollte der ,,Gnadentod" erteilt werden.

Unter diesen Aspekten begann im Sommer 1940 die planwirtschaftliche Vernichtung Geisteskranker und Geistesschwacher. Die Personen wurden nach vorbereiteten Listen durch beauftragtes Begleitpersonal in ihren Heimen abgeholt, in staatliche Heilanstalten als Zwischenstation gebracht und dann in endaufnehmenden Anstalten ermordet.

Die Behindertenanstalt Eckesberg wurde 1852 als ,,Gretinenanstalt" von dem Altmühldorfer Pfarrer Josef Probst gegründet. Geistig Behinderte sollten dort wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Im Laufe der Zeit kamen Zweigniederlassungen in Bachham und Berg hinzu.

Die bevorstehende Mobilmachung im Jahre 1938 gab die erste Möglichkeit die Räumung von Ecksberg - bis dato belegt mit Behinderten - anzuordnen. So erging an den damaligen Anstaltsvorstand Lunghammer der Befehl, die Anstalt räumen zu lassen: einige Gebäudetrakte würden für das Militär benötigt werden. Die Anstalt wurde daher am 13./14.3.1938 zumindest teilweise geräumt:

Die weiblichen Pfleglinge wurden nach Bachham, die männlichen Pfleglinge nach Berg gebracht. Ein Teil der Pfleglinge musste aufgrund fehlender Aufnahmekapazitäten zu ihren Angehörigen zurückgeschickt werden.

Die Tatsache, dass Lunghammer von einer Kriegsgefahr sprach, gab der örtlichen Parteiführung den willkommenen Anlass, gegen ihn vorzugehen:

Nur einen Tag später, am 16.3.1938, erschien die Geheime Staatspolizei zusammen mit Kreisleiter Schwägerl und anderen örtlichen Parteigrößen in Ecksberg. Nach dreistündigen Verhör wurde Lunghammer seines Amtes als Anstaltsleiter enthoben und sofort verhaftet. Da er in seinem Rundschreiben von einer Kriegesgefahr gesprochen habe, wurde er als Unruhestifter und Volkesaufwiegler festgenommen und für sechs Wochen in München inhaftiert. Bin zu seinem Tod im Jahre 1940 durfte er Ecksberg nicht mehr betreten.

Zum Leiter der Anstalt wurde von den Nazis ab sofort der Blutordensträger Anton Jobst bestimmt.

Da nun die Anstalt Ecksberg doch nicht für eine Unterbringung von Militär benötigt wurde, wurden nur wenige Tage später die Pfleglinge aus Bachham und Berg wieder zurück nach Ecksberg geholt.

Es wird so deutlich, dass dies ganze Aktion nur den Zweck verfolgte, eine der NSDAP genehme Anstaltsleitung zu installieren.

Die Tötungsmaschinerie läuft an

Seit dem Euthanasieerlass Hitlers im Jahre 1939 - unheilbar Kranken konnte der ,,Gnadentod" erteilt werden - war dies Tötungsmaschinerie auch für die Ecksberger Pfleglinge nicht mehr aufzuhalten.

Am 26.9.1940 betrug die Anzahl der Pfleglinge in Ecksberg 342.

Am 27.9. 1940 worden von diesen 60 weibliche Pfleglinge in die Anstalt Gabersee überstellt, am 30.9. weitere 228 Pfleglinge in die Anstalt Haar bei München, insgesamt also 288. Diese Pfleglinge wurden mit Autos in Ecksberg abgeholt. Die Meisten freuten sich auf diese Autofahrt, ahnten sie doch nicht, dass sie nicht mehr zurückkehren sollten. Mehrere Ecksberger Schwestern mussten diese Transporte nach Gabersee und Haar begleiten.

 

Von dort wurden sie in einzelnen Gruppen in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gebracht und zwar am
  • 15.11.40: 60 Pfleglinge

  • 29.11.40: 27 Pfleglinge

  • 17.01.41: 9 Pfleglinge

  • 24.01.41: 111 Pfleglinge

  • 25.02.41: 25 Pfleglinge

  • 25.04.41: 8 Pfleglinge

  • 10.01.42: 5 Pfleglinge

  •  -???- : 3 Pfleglinge

Insgesamt wurden so von den 288 Ecksberger Pfleglingen 245 nach Hartheim verbracht, wo sie allesamt in den Gaskammern ermordet wurden.

Die Namen der ermordeten Pfleglinge finden sich hier.

 

Eine Schwester, die den Transport vom 17.1.41 nach Hartheim begleitete, beschrieb in Tagebuchaufzeichnungen den Transport:

,,Nachdem wir am 15.1. abends vollends ausgefroren in Eglfing ankamen, mussten wir noch einen ganzen Tag in einem kleinen Raum ohne ausreichende Sitzmöglichkeit verbringen (29 Personen). Da nur zwei kleine Tische vorhanden waren, musste ein Teil der Pfleglinge das Essen stehend einnehmen. Die Schlafgelegenheit war ausreichend.

Am Transporttag, den 17.1.41, mussten die Pfleglinge um 4 Uhr früh aufstehen. Von der Anstalt aus gab es kein Frühstück; doch wir Schwestern sorgten für Tee und Semmeln.

Um 4.45 Uhr ging es dann bei großer Kälte zum Transportzug. Diesmal sollten auch wir Schwestern die Pfleglinge begleiten bis zum Waggon (der auf freier Strecke stand). Bei schlechter Beleuchtung war die Verladung einem Viehtransport zu vergleichen. Die Fenster waren dicht gefroren; sicher waren die Wagen ungeheizt. Auf die Befürchtung, es könnten die Gehbehinderten keine Sitzgelegenheit bekommen, sagte ein Mann: ,,Schwester, die brauchen nichts mehr, die kommen nicht weit." In die Waggons durften wir Schwestern nicht hinein. Insgesamt mögen einige hundert Personen ,,verladen" worden sein.

Es waren mehrere sogenannte ,,schreiende" Kranke dabei. Eine Schwester hielt sich in Waggonnähe verborgen und stellte fest, dass schon in kurzer Zeit kein Laut mehr zu hören war.

Bei all den Transporten durften die Schwestern nicht mit zur Begleitung. Einige der Kranken haben die Situation ganz erfasst und alles Leid der Kranken und Schwestern steht zwischen den Zeilen!"

Nachdem die Anstalt Ecksberg auf diese Weise geräumt worden war, erfuhr sie in den Jahren 40 bis 45 eine wechselvolle Geschichte: Von Oktober 1940 bis September 1941 war die ehemalige Anstalt durch Umsiedler aus Bessarabien belegt, später wurden dort 550 Slowenen und 100 Bulgaren untergebracht. Bereits seit 1942 war der Krankenbau als Ausweichkrankenhaus für Mühldorf beschlagnahmt.

Im August 1943 wurden sämtliche Flüchtlinge aus Ecksberg wieder abgezogen, da die Räume von der Organisation Todt im Rahmen der Rüstungsanlage im Mühldorfer Hart benötigt worden.

Nicht nur die Pfleglinge hatten in Ecksberg zu leiden, auch das Personal war dem Nazi-Terror ausgeliefert. So wurde beispielsweise Schwester Camila Schachner wegen Randnotizen in einem ihrer Bücher am 7. Oktober 1943 verhaftet. Sie wurde nach Stadelheim ins Gefängnis gebracht und am Heiligabend 1943 weiter ins Konzentrationslager nach Ravensbrück. Nach Kriegsende konnte sie nach Ecksberg zurückkehren, wo bis vor kurzen eine Grabstelle auf dem Ecksberger Friedhof an sie erinnert.

Vier weitere Schwestern waren ebenfalls von der Gestapo verhaftet worden.

Die Pfleglinge aus Ecksberg wurden über Haar (Eglfing) nach Schloss Hartheim bei Linz verbracht, eine der Tötungsanstalten des Dritten Reichs.

 

So wird in der Pfarrchronik Alkoven über Hartheim berichtet:

,,Schreckliche Szenen auf dem Schlosshof: Nach der Ankunft im bretterverschlagenen Hofraum wurden die armen Opfer in einen Abladeraum gebracht, neben dem sich eine Fotozelle befand, in der die mit einer Nummer versehenen Todeskandidaten fotografiert worden.

Völlig entkleidet, angeblich weil sie ein Bad nehmen müssen, wurden sie in den Gasraum getrieben, unter dessen Decke Rohre mit sichtbaren Brausen liefen, die das todbringende Gas in den Raum leiteten. Durch eine Tür wurden die Leichen sodann an den Beinen in den neben der Gaskammer befindlichen Raum geschleift, in dem sie zu großen Haufen geschlichtet der Verbrennung harrten.

Drei Verbrennungsöfen, die man in einem anschließenden Raum erbaut hatte, waren Tag und Nacht in Tätigkeit, um die Unzahl der Ermordeten veraschen zu können. Die Hinrichtungen und Veraschungen erfolgten geradezu fabrikmäßig am laufenden Band. Der Rauchabzug ins Freie erfolgte durch die Dachrinne. Häufig entstieg der Rauch in so dicken Schwaden, dass der penetrante Gestank den Ort verpestete."

Das Schloss Hartheim, gelegen bei Alkoven nahe der Gemeinde Eferding im Großraum Linz, ist auch heute noch vollständig erhalten. Heute erinnert die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen an die Leiden und Verbrechen, die - auch an Ecksberger Pfleglingen - seinerzeit in Hartheim verübt wurden.

 

 Schloss Hartheim - damals und heute

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Insgesamt wurden so von den 288 Ecksberger Pfleglingen 245 nach Harthein verbracht, wo sie allesamt in den Gaskammern ermordet wurden.

 

Weiterführende Hinweise erhalten Sie in der Veröffentlichung

"Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus"