Die Rüstungswerke Kraiburg und Aschau

Widerstandsaktionen in Kraiburg

Als Zwangsarbeiter aus der Ukraine nach Kraiburg im Landkreis Mühldorf verschleppt und zur Arbeit  im Rüstungswerk der DSC gezwungen, wollten sich Walja Winigradowa und Nadja Ulitschewa nicht mit ihrem Schicksal abfinden. Sie schlugen 1943 im Ausländerlager Kraiburg zweimal Plakatzettel an, auf denen sie zur Arbeitsverweigerung bei der Deutschen Sprengchemie, zum bewaffneten Kampf gegen Hitler-Deutschland und zur Partisanenausbildung aufriefen. Sie wurden dabei entdeckt und von der Gestapo in das KZ Ravensbrück mit dem "Antrag auf Sonderbehandlung" eingeliefert.

Antrag auf Sonderbehandlung - dies bedeutete Antrag auf Liquidation, auf Mord.

In der Nacht zum 3. August 1944 wurde in einem Ostarbeiterlager bei Kraiburg a. Inn an der Baracke des Lagerführers ein Plakat in ukrainischer Schrift befestigt, das im geheimen Bericht eines Kraiburger Polizeibeamten als "deutschfeindlich" bezeichnet wurde. Als Plakatschreiberin war bald eine Maria Kolesnischenko "festgestellt" und "wegen deutschfeindlichen Verhaltens in Polizeihaft genommen".

Hintergründe dieser Vorkommnisse lagen in der schlimmen Situation der Zwangsarbeiterinnen und in der ihrer Kinder begründet:

Um diese Munitionsfabrik im Wald waren Barackenlager für Tausende, meist ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter errichtet worden, die gezwungen wurden, unter ständiger Lebensgefahr Pulver herzustellen, das dann gegen ihre eigenen Herkunftsländer verwendet wurde.

Die zahlenmäßig stärkste Gruppe waren die Ukrainer. Zuerst hatte man sie mit falschen Versprechungen in das Reichsgebiet gelockt, nach dem Sauckel - Erlass von 1942 dann mit Gewalt hierher verschleppt. Maria Kolesnischenko etwa war nach dem Polizeibericht dabei eine aus der Gruppe der Ukrainer.

Bei der Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften im Osten achteten die Nazis darauf, dass etwa gleich viele Frauen und Männer ins Reichsgebiet kamen, um eine "erbbiologisch gefährliche Vermischung von deutschen und fremden Blut" zu verhindern. Was jedoch nicht verhindert werden konnte, war, dass ukrainische Frauen im Lager schwanger wurden. Obwohl Abtreibung bei den ausländischen Zwangsarbeiterinnen offiziell gefördert wurde, während sie bei deutschen Frauen streng bestraft wurde, brachten zahlreiche Ausländerinnen ihre Kinder zur Welt.

Säuglinge und Kleinkinder im Ukrainerlager wurden den Müttern weggenommen und in ein "Kinderheim" bei Gendorf im Nachbarlandkreis Altötting gebracht.

 

In Polizeibericht heißt es dazu unter dem Punkt "Stimmung, allgemeine Lage, Vorkommnisse":

"Am 27.7.44 wurden die Kinder der im Werk Kraiburg beschäftigten Ostarbeiterinnen in das Ausländerkinderheim nach Gendorf verbracht. Nach dieser Unterbringung haben aber mehrere Ostarbeiterinnen ihre Kinder wieder nach Kraiburg zurückgeholt. Als Grund wurde die schlechte Behandlung der Kinder angegeben. Die Kinder wurden am 3.8.44 wieder in das Kinderheim nach Gendorf verbracht."

Das "Kinderheim" - in anderen Quellen auch "Pflegestätte Burgkirchen" genannt - war im Frühsommer 44 auf Befehl der SS eingerichtet worden. "Pflegestätten" dieser Art, die an vielen Rüstungsstandorten mit Zwangsarbeiterinnen entstanden und mit möglichst hochtrabender Bezeichnung versehen wurden, sollten einerseits als Entbindungsstationen dienen, damit deutsche Frauen zukünftig nicht mehr zusammen mit Ausländerinnen ihre Kinder in den Kreissälen der Krankenhäuser zur Welt bringen würden.

Andererseits sollten diese Einrichtungen die Säuglinge nach der Geburt "zur Pflege" übernehmen, damit die Mütter umgehend wieder in der Rüstungsproduktion weiter arbeiten konnten. Die bereits geborenen Kleinkinder in den Lagern sollten ebenfalls in diese sogenannten Pflegestätten "verbracht" werden.

Die jungen ukrainischen Frauen hatten wohl geahnt oder gewusst, was ihren Kindern in den Baracken von Gendorf drohte. Die "Pflege" war der Art, dass innerhalb eines einzigen Monats fast die Hälfte der dorthin verbrachten Kleinkinder starb.

Als bei der deutschen Bevölkerung in der Umgebung einiges über die hohe Sterblichkeit in den Baracken bekannt wurde, schrieb der Altöttinger Landrat in seinem Monatsbericht an den Regierungspräsidenten im Telegrammstil unter "Sonstiges":

"In Ausländer-Pflegestätte Burgkirchen a.d.Alz z. Zt. 68 Kinder. Sterbefälle im letzten Monat 33. Besorgnis bei der umliegenden Bevölkerung, weil Seuchengefahr vermutet."

Der Pfarrer, der die toten Kinder beerdigt hatte, berichtete in einem Nachkriegsprozess, dass die Säuglinge in kalten und unhygienischen Baracken gelegen waren und ihnen Kaffee und unpürierte Gemüsesuppe eingeflößt wurde.

Eine Übersetzerin der DSC Kraiburg, die im Sommer 44 einen Bus mit Müttern und Säuglingen nach Gendorf begleitet hatte, gab zu Protokoll, dass bei der Hinfahrt "alle Kinder noch mit Muttermilch ernährt wurden und bei guter Gesundheit waren". Dieselbe Zeugin: "Sie (die Mütter - d. Verf.) stürmten alle auf mich ein und flehten mich an, ihre Kinder dort nicht zurückzulassen. Sie weinten und schrieen, aber ich konnte ihnen nicht helfen."

Gesichert ist, dass einige Frauen aus dem Kraiburger Lager die Gendorfer Baracken mit eigenen Augen gesehen und bereits erfahren hatten, dass die Deutschen ihren Säuglinge und Kleinkinder wegnahmen. Auch wenn die Frauen nicht den gesamten Umfang des langsamen Kindermordens in Gendorf wissen konnten, kann man sich unschwer vorstellen, dass sich die Verhältnisse in Gendorf und drohende erneute Wegnahme der Kinder bei den ukrainischen Frauen herumgesprochen und Protestaktionen ausgelöst hatten, die hart bestraft wurden..

Das  Schicksal der Maria Kolesnischenko in den Fängen der Gestapo ist vermutlich nicht viel anders als das der achtzehnjährigen Waldja und der neunzehnjährigen Nadja aus dem DSC-Werk in Kraiburg, die bereits nach Stalingrad im Februar 1943 zum Widerstand und zum Streik aufgerufen hatten.  

An der nördlichen Seite der Kirche in Burgkirchen, der Stelle, wo die toten Säuglinge beerdigt wurden, befindet sich ein Hinweis auf das "Kinderheim" in Gendorf und die dort ermordeten Kinder.

Weiterführende Hinweise erhalten Sie in der Veröffentlichung

"Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus"