Rüstung im Mühldorfer Hart

Chemische Kampfstoffe im Mühldorfer Hart


Ein Skandal wird aufgedeckt

Es war im Juli 1982, als sich bei den GRÜNEN in Mühldorf ein Zeuge meldete, der berichtete, er hätte miterlebt, wie nach Kriegsende in den Bunkerruinen des Mühldorfer Harts Giftkampfstoffe der ehemaligen deutschen Wehrmacht eingemauert worden seien. Der damalige Mühldorfer Landrat hätte diesem Vorgang beigewohnt. Der Zeuge, der uns dieses mitgeteilt hat, tat dies unter der Bedingung, dass die GRÜNEN seinen Namen nicht öffentlich nannten; die GRÜNEN sicherten ihm dieses zu.

So kam der Stein also ins Rollen. Noch im Juli und August 1982 berichteten die GRÜNEN dem Landratsamt Mühldorf und den betroffenen Gemeinden Mühldorf, Mettenheim, Ampfing und Waldkraiburg von dem Verdacht auf Lagerung von Giftkampfstoffen in den Bunkerruinen des Mühldorfer Harts.

Es handelte sich dabei, wie gesagt, um einen Anfangsverdacht, basierend auf der Aussage eines Zeugen.

Die Antwort des Landratsamtes ließ nicht lange auf sich warten. Sie besagte, dass "in unserem Landkreis keinerlei Gefährdung durch angebliche Kampfgaslagerung gegeben" sei.

Diese Beurteilung sei nach Rücksprache beim Bayerischen Staatsministerium des Inneren erfolgt (l).

In ähnlicher Art und Weise antworteten die betroffenen Gemeinden. So zum Beispiel die Stadt Waldkraiburg:

"... teilen wir mit, dass über den von Ihnen geschilderten Vorfall hier nichts bekannt ist und keine Unterlagen vorhanden sind." (2)

Auch an das Bayerische Staatsministerium des Inneren richteten die GRÜNEN einen Brief mit der Frage, ob die Aussage über die Kampfgaslagerung im Mühldorfer Hart zutreffe. Die Antwort kam postwendend:

"Wir können Ihnen dazu mitteilen, dass - soweit uns bekannt ist - im Mühldorfer Hart keine Giftkampfstoffe lagern." (3)

Auch die Regierung von Oberbayern stellte fest, dass Kampfstoffe "nicht gelagert sind". (4)

Soweit also die Reaktionen der zuständigen Stellen, die das Vorhandensein von Kampfgas im Mühldorfer Hart dementierten.

Die GRÜNEN aber gaben sich mit diesen Auskünften nicht zufrieden und forschten bei verschiedenen anderen Stellen nach.

Inzwischen hatte auch der Bayerische Rundfunk zu diesem Thema berichtet: Am 24. Juli l983 sprach der Rundfunk von weiteren Zeugen, die gegenüber Rundfunkreportern bestätigt hatten, im Mühldorfer Hart sei nach Kriegsende Kampfgas der deutschen Wehrmacht gelagert worden. Es wurde dabei von einer "Chemischen Zeitbombe" für den Landkreis Mühldorf gesprochen (6).

Kurz darauf, im August 1983, wurden die GRÜNEN dann im Stadtarchiv fündig:

Die Mühldorfer Zeitung vom 25. August 1950 berichtete, dass nach Kriegsende 42,5 Tonnen des Giftkampfstoffes "Clark II", ein Arsengiftstoff, in einem Stollen der ehemaligen Flugzeugfabrik im Mühldorfer Hart eingemauert worden sei. Die Einlagerungsstelle selbst wird dabei detailliert beschrieben (7).

Auch die Mühldorfer Nachrichten - es gab damals noch zwei Lokalzeitungen - berichtete am gleichen Tag über eine Sitzung des Mühldorfer Stadtrats, bei der über die Einlagerung von Giftkampfstoffen in der Zeit von 1946 bis 1948 gesprochen wurde. Hierbei wird der Name "Lost" erwähnt, auch bekannt unter dem Namen "Gelbkreuz" (9).

Auch das offizielle Protokoll dieser Stadtratssitzung berichtet hierüber:

"Ferner sind in dem fraglichen Waldgebiet Kampfstoffe (Gelbkreuz, Nitrocellulose) durch Einbetonieren unschädlich gemacht. Es besteht eventuell die Gefahr, dass der Grundwasserstrom (...) verunreinigt werden könnte." (9)

Nun sehen die GRÜNEN also schwarz auf weiß ihren Anfangsverdacht über die Lagerung von Kampfstoffen bestätigt: 42,5 Tonnen Giftkampfstoffe sind im Mühldorfer Hart vergraben.

Obwohl so nun öffentliche Dokumente vorlagen, das Bayerische Staatsministerium des Inneren verfolgte eine seltsame "Informationspolitik": Anstatt alle darüber vorhandenen Informationen bekannt zu geben und sich schnellstens um eine Entsorgung des Giftes zu bemühen, hieß es da:

"Wir bitten Sie um Ihr Verständnis, wenn wir über jeden genannten Lagerort eine neutrale Aassage machen." (l0)

Immer noch wurde verschwiegen, was der Öffentlichkeit jetzt bekannt war und sie beunruhigte.

Die GRÜNEN unternahmen weitere Initiativen: Anfragen an die Regierung, Mitbegründung einer Bürgerinitiative gegen die Kampfgaslager, Eingaben an Behörden, Nachforschungen in Archiven.

Es erfolgten zudem zahlreiche Presseveröffentlichungen, auch in überregionalen Blättern wie zum Beispiel in "Stern" (11), "Konkret", usw.

Unter der Fülle der "Beweislast" und aufgrund öffentlicher Proteste in der Bevölkerung, musste das Bayerische Innenministerium schließlich zugeben:

"... können wir Ihnen mitteilen, dass das weitgehend neutralisierte Clark-Gemisch an einem nach menschlichen Ermessen sicheren Ort im Landkreis Mühldorf gelagert ist." (12)

"... können wir Ihnen mitteilen, dass der Herr Staatsminister ... entschieden hat, die Einlagerungsstelle im Mühldorfer Hart nicht mehr geheimzuhalten." (13)

Nun hatte der Bericht über die Giftgaseinlagerung auch seinen "amtlichen Segen" erhalten: Nach endlosen Lügen offizieller Stellen musste aufgrund grüner Aufklärungsarbeit die Sache zugegeben werden.

Wie aber kam das Giftgas nach Mühldorf, wie gefährlich ist es? Die GRÜNEN gingen auch diesen Fragen nach.

Was ist Clark II ?

42,5 Tonnen des Giftkampfstoffes "Clark II" lagern im Mühldorfer Hart. Was aber ist das, Clark II?

Es handelt sich dabei um einen Kampfstoff, der im Volksmund als "Blaukreuz" bekannt ist und dessen chemischer Name "Di-phenyl-arsin-cyanid" heißt. Das Bayerische Innenministerium bezeichnet das Clark als "Reizstoff".

Dies entspricht jedoch nicht den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen: als Arsenverbindung ist Clark II in die Reihe der chemischen Kampfstoffe einzuordnen. Seine Wirkung übt es dabei hauptsächlich auf die oberen Atemwege des Menschen aus. Insbesondere wurde Clark II im ersten Weltkrieg als sogenannter "Gasmaskenbrecher" eingesetzt, da die damals gebräuchlichen Filter der Masken keinen Schutz boten und der nach Anlegen der Maske bestehende Brechreiz zum Ablegen der Maske zwang. Seine gefährliche Wirkung entfaltet das Kampfgas ab einer Konzentration von o,25mg/m, die Reizschwelle besteht ab o,oo5mg/m. Zur Erinnerung: Im Mühldorfer Hart sind ganze 42,5 Tonnen gelagert. Als unmittelbare Folge einer Berührung von Clark II treten Übelkeit, Erbrechen, heftige Schmerzen im Stirnbereich, asthmaartige Zustände, Bewusstseinsverlust, akutes toxisches Lungenödem mit tödlichen Ausgang auf.

Die große Stabilität dieser Arsenverbindung im Boden und im Wasser lässt für die nächste Zeit noch Spätfolgen befürchten: Die Literatur erwähnt hier eine krebserzeugende Wirkung sowie eine Schädigung von Mikroorganismen.

Dies sind Tatsachen, die die zuständigen Stellen wohl zu einer sachgerechten Beseitigung der Kampfstoffe veranlassen sollten.

Wie es begann

Etwa um die 4,5 Millionen Tonnen an Giftgasgranaten und Giftgasbomben befanden sich 1945 in den Lagern der deutschen Wehrmacht - dies entspricht etwa 61000 Tonnen reinen Giftgases. Davon entfielen ca. 1000 Tonnen auf den Kampfstoff Clark

Das Deutsche Reich hatte diese Mengen an Giftgas herstellen lassen, bis zum Kriegsende wurde jedoch keiner dieser Kampfstoffe tatsächlich eingesetzt, wohl weil man sich mit nüchternen militärischen Kalkül ausrechnete, dass dann der Gegner ebenfalls mit einem Einsatz von Giftgas geantwortet hätte (l).

Gegen Ende des Krieges entschied die Wehrmacht dann, dass die Giftgasbestände der Deutschen nicht in die Hände der Alliierten fallen dürfe (2). In geheimen Transporten wurde versucht, die Giftgasbestände vor dem schon anrückenden Gegner in Sicherheit zu bringen, die Transporte gerieten jedoch in das Chaos des Zusammenbruchs.

Wo die gesamten Bestände geblieben sind, das weiß heute niemand mehr genau: Noch heute liegen sie irgendwo vergraben oder versenkt auf dem Meeresgrund.

In der heimatlichen Gegend wurden die Giftkampfstoffe von der Gendorfer Firma Anorgana (heute: Höchst) produziert. Im Jahre 1942 wurde dort mit der Kampfgasproduktion begonnen, bis Kriegsende wurden dort ungefähr 2ooo Tonnen hergestellt (3). Einige Kilometer weiter, im heutigen St. Georgen bei Traunreut begann die Wehrmacht 1938 mit dem Bau der sogenannten "Heeresmunitionsanstalt St. Georgen". Dort wurden bis Kriegsende Tausende von Tonnen Kampfstoffmunition gelagert: Lost, Clark, Tabun. 1945 wurde die Heeresmunitionsanstalt dann von den Amerikanern übernommen. So bestand dann nun für die Amerikaner das Problem, die aus den beiden Werken (Gendorf, St. Georgen) stammenden Kampfstoffe fachgerecht zu beseitigen. Auf welche Weise geschah dies?

Die Entsorgung der Heeresmunitionsanstalt war dabei wegen der großen dort gelagerten Menge problematisch. Die Beseitigung erfolgte auf folgende Art und Weise:

Mühldorf gehörte zu diesem letzteren Fall: Der Kampfstoff Clark II wurde von der Heeresmunitionsanstalt aus mit Lastkraftwagen nach Mühldorf in den heutigen Mühldorfer Hart zu dem Stollen gefahren, in dem er abgelagert werden sollte.

Der Kampfstoff wurde abgelagert und - er existierte teilweise in kristalliner Form - am Boden mit Schaufeln zerkleinert. Anschließend wurde er mit Natronlauge und Chlorkalk verdünnt und in Kisten und Fässer abgefüllt.

Das ganze wurde dann in den Stollen verbracht (5). Die Fässer waren vorher dabei nicht einmal alle verschlossen worden.

Die Situation heute

Welche Auswirkung hat die Giftgaseinlagerung nun heute noch auf die Umwelt?

Wo ist das Giftgas genau gelagert? Ab 1942 sollte im Mühldorf er Hart eine große Rüstungsfabrik entstehen, teils oberirdisch, teils unterirdisch. Das Flugzeug Messerschmitt ME 262 sollte dort in Serie gebaut werden

Der Kern der Anlage sollte eine ca. 4oo Meter lange Halle werden, deren gewölbtes Dach heute noch teilweise steht. Die Halle war dabei mit mächtigen Widerlagern im Erdboden verankert. Im Inneren dieser Widerlager verlief jeweils ein Stollen, in denen einen dann das Kampfgas später eingemauert wurde. Der fragliche Teilabschnitt des Stollens ist 54 Meter lang, 3 Meter breit, 2,2 Meter hoch und besitzt fünf Eingänge.

Das Gift wurde in diesen Gang gebracht und dann mit einer 35 Zentimeter dicken Ziegelwand abgemauert. Seitens des Innenministeriums wurde darauf hingewiesen, dass der Stollen dann nochmals mit einer einen Meter dicken Betonwand verschlossen wurde(l). Dies trifft aber nur für den "Haupteingang" zu: wie die verbleibenden Eingänge verschlossen wurden, ist nicht bekannt.

Nach Aussagen der zuständigen Stellen handelt es sich dabei um eine absolut sichere Lagerstätte. Dass dem nicht so sein kann, beweist ein einfacher Blick auf das in Frage stehende Bauwerk. 1947 wurde das Gelände teilweise von den Amerikanern gesprengt, anschließend wurde in denselben Baulichkeiten das Giftgas eingemauert. Die tiefen Risse zeugen noch heute von den gewaltigen Sprengungen. So hermetisch abgeschlossen ist die Lagerstätte also nicht. Mit bloßem Auge sind zudem die Witterungseinflüsse feststellbar, die den Ruinen bereits 40 Jahre zusetzten. Das Innenministerium dagegen meint unbekümmert:

"Insbesondere sind merkliche Witterungseinflüsse am Beton nicht feststellbar." (2)

Vom Gegenteil mag sich jedermann vor Ort selbst überzeugen.

Interessant auch eine andere Formulierung des bayerischen Innenministeriums:

"Seit der Einlagerung sind nahezu 35 Jahre vergangen. Wir haben keine Kenntnisse über die Verhältnisse im Lagerstollen selbst  wie z. B. Feuchtigkeit, Temperatur und dergleichen. Ob die damals verwendeten Behälter heute noch dicht sind, wissen wir nicht." (3)

Oder:

"Selbst für den Fall des Durchrostens der damals verwendeten Behälter sehen wir ... keine akute Gefahr für die Umwelt." (4)

So ist das also: die Behälter mit den Kampfstoffen mögen durchgerostet sein, das Ministerium hat keine Kenntnis über die Verhältnisse im Lagerstollen selbst, eine Gefährdung ist aber selbstverständlich nicht erkennbar.

Das Ministerium beruft sich in dieser seiner Beurteilung auf die Tatsache, dass der Kampfstoff mit Neutralisierungsmitteln vermengt worden sei. Bei den 42,5 Tonnen Kampfstoffgemisch soll es sich dabei um lo,5 Tonnen reinen Kampfstoffes handeln und um die dreifache Menge an Natronlauge und Chlorkalk (6).

Dies aber darf angezweifelt werden: Angeblich gibt es heute keine schriftlichen Unterlagen mehr zu dem damaligen Einlagerungsvorgang mehr (7), die genauen Mischungsverhältnisse sollen demgegenüber genau bekannt sein. - Dies ist unglaubwürdig.

Helmut Stauber, der an den Entgiftungsarbeiten der Heeresmunitionsanstalt mitgewirkt hat, berichtet:

"Soviel Chlorkalk war damals gar nicht vorhanden. Wir waren froh, dass wir die Leute mit Chlorkalk versorgen konnten, um Anzüge, um die Kleidung zu entgiften. Wir hatten zeitweise fast keinen Chlorkalk mehr gehabt."(8)

So musste das Innenministerium dann auch zugeben:

"Uns ist bekannt, dass eine vollständige Neutralisation des Clarks nicht erreicht werden kann." (9)

Auch das Landratsamt Mühldorf beurteilt die Frage nicht optimistisch:

"Wir gehen davon aus, dass durch die erfolgte Behandlung der Stoffe, zwar eine gewisse Entschärfung eingetreten, die Kampfmitteleigenschaft aber nicht weggefallen ist." (lo)

So kann es also nicht weit her sein mit der sogenannten Neutralisation.

Seinerzeit (195o) sollte ein Gutachten über die Gefährlichkeit der Kampfstoffe erstellt werden:

"Es soll ein Gutachten der Gesundheitsbehörde eingeholt werden, aus dem klar ersichtlich ist, inwiefern die Giftstoffe ... einen Einfluss haben ..." (11)

Dieses Gutachten ist heute seltsamerweise nicht mehr auffindbar. Das Landratsamt hierzu:

"... teile ich Ihnen mit, dass sich bei den Akten des Landratsamtes Mühldorf kein Gutachten der Gesundheitsbehörde aus dem Jahre 195o über angebliche Gefährdung durch Kampfgase befindet." (12)

Zu befürchten ist nicht nur eine Kontaminierung der Umgebung durch die nur unzureichend gelagerten Kampfstoffe, auch eine Gefährdung des Grundwassers erscheint möglich.

In einem offiziellen Protokoll des Bayerischen Landtags findet sich folgende aufschlussreiche Stelle:

"Nur in einer einzigen Probe sei die Spur eines Kampfstoffes gefunden worden, was jedoch ... keine Aussagekraft habe." (13)

Ausdrücklich wird dabei Bezug genommen auf das Grundwasser im Bereich der Kampfstoff-Einlagerungsstelle bei Mühldorf.

Kurz nachdem die GRÜNEN diese Tatsache in der Presse bekannt gemacht hatten (14), wurden sie vom Mettenheimer Bürgermeister als "Zeitungsschmierer" beschimpft (15), obwohl die GRÜNEN nur den Protokollinhalt veröffentlicht hatten. Zumindest eine Gefährdung abstrakter Natur des Grundwassers schien so im Bereich des Möglichen. Die Behörden reagierten mit Unverständnis:

"... Grundwasserprobe, in der eine Spur eines Kampfstoffes gefunden worden sein soll, ist dem Gesundheitsamt nicht bekannt." (16)

Zugleich aber musste zugegeben werden, dass "beim jetzigen Kenntnisstand das Eindringen von Arsen oder Arsenverbindungen in das Grundwasser m. E. für die Zukunft nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann." (16)

Soweit die Beurteilung durch die Fachbehörden.

Angesichts einer möglichen Gefährdung des Grundwassers fragten die GRÜNEN beim zuständigen Wasserwirtschaftsamt in Rosenheim nach, ob entsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen worden seien. Dort wurde den GRÜNEN zwar mitgeteilt, dass regelmäßige Trinkwasseruntersuchungen erfolgen würden, jedoch:

"Regelmäßige Grundwasseruntersuchungen werden vom Wasserwirtschaftsamt in Rosenheim im Bereich des Mühldorfer Harts zur Zeit nicht durchgeführt." (17)

Diese Sorglosigkeit erscheint haarsträubend. Fragt man nach, so hört man, alles sei völlig ungefährlich (18), bei näheren Hinsehen aber offenbart sich eine ganz andere Wahrheit, die der Bevölkerung verschwiegen werden soll - siehe oben. Zudem: Jeder weiß heute, dass eine l Meter dicke Betonwand kein absoluter Schutz sein kann - man betrachte nur die vielen Tropfsteinhöhlen, die sich an Ort und Stelle gebildet haben.

Eine weitere Gefahrenquelle stellt eine mögliche Manipulation durch Unbefugte an der Einlagerungsstelle dar: Schließlich ist die Einlagerungsstelle jedermann frei zugänglich und eine Betonwand muss kein unüberwindbares Hindernis sein. Das Bayerische Innenministerium stellt dazu fest:

"Auch messen Sie den angeblichen Eindringungsversuchen zu große Bedeutung zu. (...) Selbst mit handwerklichen Brechwerkzeugen würde der Versuch einzudringen, wohl tagelang dauern." (19)

Und:

"Das Bauwerk insgesamt und die Einlagerungsstelle im besonderen wurden in der Vergangenheit regelmäßig überwacht. Die Bewachung wurde vornehmlich durch die Polizei und auch durch das Ministerium selbst vorgenommen (...) haben wir keine Auffälligkeiten an der Lagerstelle festgestellt." (2o)

Eine von den GRÜNEN geforderte ständige Bewachung wurde abgelehnt. Die Polizeidirektion Traunstein bestätigte dazu:

"Die Lagerstätte wird - soweit es sich um polizeiliche Aufgaben handelt - von uns entsprechend ihrer Bedeutung in unsere Maßnahmen einbezogen."(21)

Dies aber war wohl anscheinend alles nicht ausreichend genug:

Am 2. April 1986 wurden im Auftrag des Landratsamtes Mühldorf Baumaßnahmen an der Einlagerungsstelle getätigt: der "Haupteingang wurde durch einen mehreren Meter hohen Erdwall abgeschirmt, die Seiteneingänge wurden erneut mittels einer in Stein gefassten Betonschicht zugemauert.

Auf Anfrage der GRÜNEN musste das Landratsamt zugeben:

"Die von Ihnen geschilderten Baumaßnahmen waren ... notwendig geworden, nachdem aufgrund deutlich erkennbarer Spuren festgestellt werden musste, dass Unbefugte sich an den Stolleneingängen zu schaffen gemacht hatten." (22)

Nun also doch: Was vorher noch als Panikmache der GRÜNEN abgetan wurde - nämlich dass Manipulationen an der Einlagerungsstelle durchaus möglich sind - war nun eingetreten. Ein Grund mehr, sich um eine Entsorgung zu bemühen!

Zur Beseitigung

Es drängt sich nun die Frage auf, wann und wie die bei Mühldorf lagernden Kampfstoffe entfernt werden sollen. Denn eines ist klar: Die Lagerstätte im Mühldorfer Hart ist dafür kein geeigneter Ort. Diese mangelnde Eignung des Stollens hat auch die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München erkannt, die die GRÜNEN im Rahmen einer Strafanzeige wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung einschalteten:

"Mit zunehmender Zeitdauer wird der Stollen als Lagerstätte ungeeignet und konkret umweltgefährdend." (l)

Beseitigungspflichtig ist gemäß den entsprechenden Gesetzen hier der Freistaat Bayern. Wie sieht der Freistaat deshalb seine Aufgabe?

Ursprünglich wurde wohl daran gedacht, dass sich nach so langer Zeit niemand mehr an das im Mühldorfer Hart lagernde Giftgas erinnern würde und stellte sich den Mühldorfer Hart als Endlagerstätte vor. 1980 musste der damalige Innenminister Tandler im Landtag einen Bericht zu den Kampfgasablagerungen in Bayern abgeben. Zur Situation bei Mühldorf hieß es dazu:

"... geht von ihm keine Gefahr aus. Er sollte deshalb dort belassen werden, da es einen besseren Lagerort dafür nicht gibt." (2)

Erst in der Folgezeit, nachdem die GRÜNEN den Skandal aufgedeckt hatten und die Gefährlichkeit der Lagerstätte bewiesen hatten, mussten Überlegungen angestellt werden, die Kampfstoffe zu beseitigen.

Die Situation stellt sich heute so dar, dass das Kampfstoffgemisch bisher nur vernichtet werden kann in einer bundeswehreigenen Verbrennungsanlage in Munster in Niedersachsen. Aus organisatorischen, technischen und rechtlichen Gründen käme eine Vernichtung dort erst ab dem Jahr 1995 in Frage. Die Kampfstoffe aber noch auf zehn Jahre in Mühldorf zu belassen, stellt angesichts der risikoreichen Lagerstätte eine erhebliche Gefährdung der Bevölkerung dar.

Die Forderung der GRÜNEN geht deshalb dahin, den Mühldorfer Hart sofort zu entsorgen und gegebenenfalls das Kampfstoffgemisch an einem sicheren Ort zwischenzulagern.

Dies aber lehnt die Bayerische Staatsregierung ab. Entsprechende Dringlichkeitsanträge im Bayerischen Landtag wurden stets mit den Stimmen der CSU abgelehnt (3).

Der Grund hierfür ist deutlich: Da die Regierung ja selbst keine Ahnung hat, wie es in dem betreffenden Stollen aussieht, hat sie wohl auch Angst davor ihn zu öffnen und die Kampfstoffe an einen sicheren Ort zu verlagern. Vielleicht müsste dann zugegeben werden, dass das ganze doch nicht so ungefährlich ist.

Andere Kampfstofflager

Leider ist das eben erwähnte aber erst ein Teil der ganzen Wahrheit - so unglaublich es auch klingen mag.

Es gibt aussagekräftige Indizien dafür, dass im Mühldorfer Hart nicht nur der Kampfstoff Clark lagert, sondern auch das noch wesentlich gefährlichere Kampfgas Lost, im Volksmund Gelbkreuz oder Senfgas genannt.

Für die Existenz von Lost gibt es zahlreiche Hinweise :

Das schon erwähnte Stadtratsprotokoll vom 23. 8. 195o spricht von Einlagerungen des Kampfstoffes Lost.

Der Bayerische Rundfunk hat Aussagen von Augenzeugen protokolliert, die berichteten, auch Lost sei nach Mühldorf gebracht worden

Der Bundesminister des Inneren spricht auf eine Anfrage der GRÜNEN hin von Lost: "Die in der Umgebung vereinzelt aufgefundenen Fragmente von Lost-Sprühbüchsen..." (3)

Dabei wurde ausdrücklich Bezug genommen auf den Mühldorfer Hart.

Einige Wochen später dementierte der Bundesminister dieses Aussage jedoch wieder und sprach von einer "versehentlichen Formulierung" (4)

Dieses Dementi ging zurück auf eine Intervention des Bayerischen Innenministers, der Lost-Einlagerungen bei Mühldorf schon immer dementiert hatte, und sprach von einer Unkenntnis der örtlichen Gegebenheiten (seitens der Bundesregierung) (5). Sicher scheinen sich auch die Behörden nicht zu sein!

Erst vor kurzen erfuhren die GRÜNEN dann von einem Arbeiter der einen Bericht über die Entgiftungsarbeiten in der Heeresmunitionsanstalt gab. Hier heißt es:

"Das waren drei Lastwägen, amerikanische Trucks', sagt Helmut Jurkat, der zusammen mit seinen Kollegen die LKWs mit drei- bis vierhundert Giftgranaten beladen hatte. Einige Kilometer von Traureut entfernt, im Landkreis Mühldorf kippte man die Kampfstoffmunition einfach in eine tiefe Grube. Wir haben da abgeladen und dann haben wir uns mit ein paar Leuten unterhalten, die da (...). Wenn das Loch voll war, wollten sie es zuschütten und gleich Bäume und Sträucher drauf! Das Gift liegt noch heute dort, wenige Meter unter der Erde in durchrostenden Granaten."(6)

Soweit ein Zitat aus dem kürzlich erschienenen Buch "Chemische Waffen in Deutschland". Es war dies die Aussage eines Arbeiters, der einen entsprechenden Transport in den Landkreis Mühldorf begleitet hat. Ob es sich dabei um das Bunkergelände im Mühldorfer Hart handelt, bleibt dahingestellt. Die Behörden hüllen sich hier wieder einmal in vielsagendes Schweigen.

Die GRÜNEN jedenfalls werden nicht lockerlassen und weiterhin unbequeme Fragen stellen, solange bis auch der letzte Rest an Kampfgas aus dem Raum Mühldorf verschwunden ist!

Anmerkungen

Kapitel I

Literatur:

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Es bedeuten:


                                                                                                                         Der Bericht entstammt einer Broschüre der Partei "Die GRÜNEN", heute "Bündnis 90 / Die Grünen