KZ - Lager und Friedhöfe

 
"... fragt uns, wir sind die letzten ..."

Überlebende der Konzentrationslager bei Mühldorf berichten von ihrem Schicksal

KZ Museum Dachau. 3190

Unbekannter Häftling

"Als ich im Sommer 1944 im Auftrage des Lagers die Personalien der Frauen aufzunehmen hatte, bot sich mir ein erschreckendes Bild. Hohlwangige bleiche Gestalten in Drillich oder gestreifter Tuchkleidung, kahlgeschoren wie wir, wankten von den Lastkraftwagen zu den bis 700 Metern entfernten Verladestellen für Baustoffe dahin, je einen schweren Zementsack auf dem Rücken. ... Bei näherem Hinsehen musste ich feststellen, dass es sich nicht um Männer, sondern um Frauen handelte, die unter solchen unwürdigen Verhältnissen leben und arbeiten mussten. Denn es musste auch von diesen Frauen dasselbe Pensum wie von den Männern geschafft werden. 100 Sack Zement musste jede einzelne am Tage auf- oder abladen, d.h., dass eine Kolonne von 100 Gefangenen 10.000 Sack am Tage verladen musste. Unter den herrschenden hygienischen und Ernährungsverhältnissen war diese Arbeitsleistung unmöglich durchzuhalten. Viele brachen zusammen und konnten sich nicht mehr erheben.

(...)

Für die ersten Frauen gab es keine Unterkunftsmöglichkeiten, sie wurden in Erdhöhlen untergebracht. Zuerst wurde eine Küche aufgestellt, damit sie wenigstens verpflegt werden konnten. Über die Erdhöhlen wurden sogenannte Finnenzelte, aus Sperrholzplatten zusammengebaut und mit Rasenstücken belegt, gedeckt. Von außen sahen sie wie bedeckte Kohlenmeiler aus, mit einem kleinen Luftabzug an der Decke. Stroh wurde von den Bauern geliefert, darauf mussten die Frauen auch schlafen. Zum Zudecken wurde nur eine Decke pro Kopf geliefert. Sanitäre und Wasseranlagen gab es nicht, ebenso keine Klosetts oder Latrinen.

(...)

In den Erdhöhlen gab es kein Licht. In dem ganzen Lager befand sich zu der Zeit nur die Lichtleitung zu dem Anhänger des Kommandoführers und der einen Baracke. Für die Lagerälteste gab es eine Karbidlampe, für die nur soviel Karbid vorhanden war, dass sie eine Stunde täglich gebrannt werden konnte. So war es selbstverständlich, dass man den Brennstoff für wichtige Zwecke, z.B. wenn jemand krank war, oder für dringende Arbeiten aufsparte.

Alles kroch am Abend müde unter die Decke. Der Schlaf war die beste Erholung. Aber selbst er war oft nicht ausreichend. Oft kamen nachts Transporte mit schweren Material, das vor Fliegerangriffen sichergestellt werden sollte, im Lager an. Dann mussten die Gefangenen ihren Schlaf unterbrechen und an die Arbeit gehen, denn die Rüstungsindustrie drängte. Mit unerhörten Aufwand an Arbeitskräften und schärfsten Arbeitstempo versuchte man, das Kriegsglück zu wenden ...

(...)

... raffte Hunger, Typhus, Dysenterie und andere Krankheiten hinweg, junge Mädchen ebenso wie Greisinnen. Wenn die Arbeitskraft nicht mehr ausgenutzt werden konnte, lies sie der Nazismus barbarisch verrecken.

 

Mühldorfer Anzeiger im Jahre 1955 über das Schicksal eines Häftlings, Nr. 3 252 647:

David Lapka

"Er war in Mettenheim anfänglich mit dem Aufbau der sogenannten Finnenzelte, mit Wegebau und ähnlich "harmlosen", weil den Körper wenig strapazierenden Arbeiten beschäftigt, um plötzlich erfahren zu müssen, dass es auch im Mettenheimer Forst etwas noch schrecklicheres als die Auschwitzer Krematorien gab: die Menschenvernichtung durch Arbeit und Hunger.

Anfang 1945 wurde er dem sogenannten "Mettenheimer Zementkommando" zugeteilt, und dieses Kommando war nichts anderes als eine Methode der Vernichtung durch Arbeit.

Die Menschen dieses Kommando wogen, wenn es hoch kam, an die 130 Pfund. Diesen ausgemergelten Körpern wurden Tag um Tag, von früh bis spät, papierene Zementsäcke auf die schmalen Schultern gelastet und die mussten zügigen Schritts hundert, zweihundert, ja dreihundert Meter weit geschleppt werden. Die Zementsäcke aber wurden in ununterbrochener Folge auf frischverlegten Eisenbahngleisen von den Güterzügen in den Mettenheimer Forst gerollt. Sobald die Rolltüren eines neuen Waggons aufgeschoben wurden, stand vor seiner Zugangsrampe eine lange Reihe von Häftlingen. Der Erste lief schnurstracks über die Rampe, nahm den Kopf vor, hob die Schultern an, ließ sich den Sack ins Genick lasten und hastete davon. Das stand schon der Zweite da. Dann der Dritte, einer nach dem anderen der schier unabreißbaren Kette. Denn sobald der Letze die Rampe passiert hatte, stand schon wieder der Erste parat. Stunde um Stunde, Tag um Tag.

Es gab nur eine Unterbrechung, die 15 Minuten Mittagspause, die hinreichen musste, die "Bunkersuppe" zu löffeln. Wer in dem grausigen Reigen liegen blieb, den peitschten Knüppel hoch, und nur wer für immer liegen blieb, fand die endgültige Ruhe. Die Ruhe irgendwo drinnen im Wald, wo man Ende Mai, Anfang Juni schaurige Massengräber finden sollte."

 

Schreiben von Aisik Strulovicz an die Geschichtswerkstatt, 28.12.1991

Strulovicz Aisik

"Werter Herr Egger,

für Ihren Brief vom 6,12,9l danke ich und hoffe, dass ein Bericht der Geschichtswerkstatt Mühldorf helfen kann.

Meine Erlebnisse im Krieg sind unvergesslich und ich hoffe dass es Ihnen gelingen wird die Vertuschung des Geschehenen zu verhindern. Auch ich bin der Meinung dass der Jugend erklärt werden muss, welche Katastrophe der Nationalsozialismus über Deutschland brachte. Nun zu meinen persönlichen Erinnerungen, insbesondere im Kreise Mühldorf.

Ich wurde in Munkasz (Russ. Karpathen) geboren und bin dort in geordneten Verhältnissen bis Ausbruch des Krieges aufgewachsen. Danach wurden wir in ein Ghetto gesperrt und man hat uns die schwersten Beschränkungen auferlegt. Ich war 15 Jahre, als im Jahre 1944 meine Familie und ich nach Auschwitz deportiert wurde. Dort herrschte Dr. Mengele über Leben und Tod.

 Meine Mutter, mein kleiner Bruder und beide Großeltern wurden sofort vergast. Mich schickte man nach Warschau um im zerstörten Ghetto 5 Monate lang Aufräumungsarbeiten zu leisten. Danach brachte man uns im August 1944 nach Dachau. Wir waren bereits sehr geschwächt, litten unter ständigen Hunger und die Läuse bemächtigten sich unserer ausgemergelten Körper.

Trotzdem im August 1944 der Krieg für Deutschland schon verloren war, läuft die Vernichtungsmaschine der Juden noch auf vollen Touren.

Von August 1944 bis April 1945 in Mühldorf - Waldlager. Die Baustelle war zirka 3-4 Kilometer  vom Lager entfernt und wir mussten diesen Weg in Holzpantoffeln gehen, die im Schnee unbrauchbar waren, da sie stecken blieben. Wir gingen mit ständiger S.S.-Bewachung und hatten die Füße notdürftig in Fetzen und Papier gewickelt.

Wer nicht schnell gehen konnte wurde sofort erschossen. Meine Arbeit bestand darin»50 kg. schwere Zementsäcke auf eine ca. 15 Meter hohe Rampe zu tragen und dort in eine Mischmaschine zu leeren. Ich selbst wog damals nur noch 30 kg. Die Schicht dauerte 8 Stunden und der Weg ca. 3 Stunden.

Auf der Baustelle bekamen wir nur Tee, im Lager Suppe, 250 Gramm Brot, ein kleines Stückchen Margarine und ein Loeffelchen Marmelade,

Mein Los war ständiger Hunger, Läuse und Angst vor Schlägen oder wegen Krankheit und Schwäche erschossen zu werden.

Im April 1945 waren wir 3 Tage in Rosenheim dort Eisenbahnanlagen zu reparieren. Gegen Schluss des Krieges hat man uns in Viehwaggons in die Richtung Tirol geschickt mit der Absicht, uns zu vernichten. Dazu ist es zum Glück nicht gekoren. Am 5 Mai wurden wir befreit.

Ich war so geschwächt und verzweifelt, dass ich mich auf den Wegrand legte und nicht mehr weiter konnte. So fanden mich die Amerikaner und brachten mich in ein Spital in Feldafing.

Solche Erlebnisse kann man tags und besonders nachts nicht vergessen. Ich hoffe damit einen Beitrag zu Ihrer Geschichtserforschung geleistet zu haben und verbleibe mit Gruß Ihr Strulovicz Aisik."

David Tzur

Alexander Ehrmann

Geschichtswerkstatt Mühldorf e.V.