Die Rüstungswerke Kraiburg und Aschau

Das Werk Kraiburg

Das Werk Kraiburg, gelegen auf dem Gebiet des heutigen Waldkraiburgs, wurde 1940 von der zur WASAG gehörenden Deutschen Sprengchemie (DSC) errichtet.

2.500 Arbeiter, zumeist Zwangsarbeiter, nahmen dort 1942 die Produktion von Pulver, Granatfüllungen und Sprengladungen auf. Insbesondere sollte die im benachbarten Werk Aschau hergestellte Nitrocellulose zu rauchlosen Geschützpulver verarbeitet werden.

Das Werk Kraiburg war schon bald eines der führenden Werke der Deutschen Sprengchemie: Über 50 % ihrer gesamten Pulverproduktion wurde im Werk Kraiburg hergestellt. Für die Wahl des Standortes Kraiburg war hier insbesondere der Wald ausschlaggebend gewesen, der gute Tarnungsmöglichkeiten bot, sowie der einsam inmitten des Mühldorfer Harts gelegene Bahnhof.

So wurden ungefähr 600 einzelne Bunker errichtet, jeder vom anderen durch einen Waldstreifen getrennt. Von Bunker zu Bunker führten schmale Betonpisten, die nach den Erfordernissen bestmöglicher Tarnung angelegt worden waren. Alle Baulichkeiten wurden unter künstlichen Erdaufschüttungen verborgen, die zur noch besseren Tarnung begrünt wurden.

Das Werk selbst umfaßte ungefähr 250 Fabrikationsbunker, 2 Kraftwerke, Gaswerke, 30 Kilometer Betonpisten, 12 Kilometer Bahn, Werkstätten, Telefonzentrale, usw.

Für die Arbeiterinnen und Arbeiter wurden mehrere Lager eingerichtet

Besonders das Frauenlager im Ortsteil Föhrenwinkel ist nahezu noch vollständig erhalten. Handelte es sich damals um eine Wohnanlage mit dazugehörigen Appellplatz, dient es heute ebenfalls Wohnzwecken, wobei die Grundsubstanz der alten Anlage erhalten blieb.

Im Mai 1945 wurde von den Amerikanern die Remilitarisierung des Werkes angeordnet: Die Heizwerke wurden gesprengt, ebenso alle unterirdischen Anlagen und Einrichtungen. In dieser Zeit ging eine große Plünderungswelle über das Werk hinweg, die zusätzlich zu schweren Schäden führte.

Im Frühjahr 1946 trafen dann die ersten Flüchtlinge auf dem Gelände des ehemaligen Rüstungswerkes ein. Leerstehende Lagergebäude dienten als erste Unterkunft. Im August 1946 wurde das Werk Kraiburg freigegeben zur Ansiedlung heimatvertriebener Ostdeutscher.

Kurz darauf wurde diese Entscheidung jedoch widerrufen, da das Werk zur Demontage bestimmt war. Produktion und Aufbau bereits eingewiesener Betriebe wurden wieder unterbunden. So wurden ungefähr 750 Wagenladungen an Einrichtungsinventar weggeschafft und 200 Gebäude völlig zerstört; die Sprengungen zogen sich bis 1948 hin. 1947 wurde das Gelände der ehemaligen Munitionsfabrik dann entgültig für die Ansiedlung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.

Inzwischen ist aus der Rüstungsfabrik im Wald bei Kraiburg und aus den Lagern der Zwangsarbeiter längst die Stadt Waldkraiburg geworden. Sie hat über 25.000 Einwohner, die größtenteils als Flüchtlinge aus dem Osten dorthin kamen und als Aussiedler heute immer noch kommen.

Waldkraiburg hat inzwischen 5 Gotteshäuser, eine Stadthalle für Volksfeste und ein Haus der Kultur. Waldkraiburg, dessen Häuser zum Teil um die alten Bunker herumgebaut sind und dessen Stadtplan das verwirrende Netz der alten Betonpisten durch den Wald zugrunde liegt, hat einen Goethe-Platz, eine Kant-Straße und einen Martin-Luther-Platz. Viele Namen erinnern an Orte in der ehemaligen Heimat im Osten.

Ein Hinweis auf die Naziopfer auf dem Boden des heutigen Waldkraiburgs ist jedoch nicht zu finden.

Dagegen findet sich an der nördlichen Seite der Kirche in Burgkirchen, der Stelle, wo die toten Säuglinge beerdigt wurden, ein Hinweis auf das "Kinderheim" in Gendorf und die dort ermordeten Kinder.

Das Werk Aschau

Die Geschichte des Ortsteils ,,Werk Aschau" in der Gemeinde Aschau im Landkreis Mühldorf a. Inn startete im Jahre 1939, als dort mit dem Bau eines Rüstungswerks begonnen wurde. 1941 erfolgte der Anlauf des Betriebes im Rahmen der bereits fertiggestellten Anlagenteile.

Wie auch das Werk Kraiburg, wurde das Rüstungswerk Aschau im Auftrag der reichseigenen ,,Montan-Industriewerke GmbH" errichtet. Die Montan war somit Besitzer von Grund und Boden, Baulichkeiten, Maschinen und Apparaten, die zur schlüsselfertigen Ersteinrichtung des Werkes gehörten.

Jedoch wurde die Fabrik in Aschau nicht selbst von der Montan betrieben, sondern von der ,,Dynamit A.G." (DAG). Die DAG rief für das Werk Aschau wiederum eine eigene Betreibergesellschaft ins Leben, die unter dem Namen ,,Fabrik Aschau - Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Verwertung chemischer Erzeugnisse", kurz ,,Verwertchemie", firmierte.

Das Werk Aschau werde speziell errichtet für die Herstellung von Nitrocellulose. Nitrocellulose ist dabei ein Vorprodukt zur Herstellung militärischer Sprengstoffe. Drei Viertel der hergestellten Sprengstoffe wurden dabei im benachbarten Werk Kraiburg weiter verarbeitet, der Rest in der Fabrik Blumau bei Wien.

Die maximal mögliche Produktion in Aschau betrug 1760 Tonnen Nitrocellulose pro Monat, tatsächlich aber wurde nur eine Produktionsrate von zwischen 1320 und 1430 Tonnen pro Monat erreicht. Im Laufe der Kriegsjahre summierte sich diese Produktion auf 45000 Tonnen Nitrocellulose.

Die Anlage, errichtet im heutigen Werk Aschau auf einer Fläche von 176 Hektar, bestand im wesentlichen aus vier Systemen zur Nitrierung und Reinigung der Nitrocellulose und zwei Anlagen um das Endprodukt zu mischen und verkaufsfertig zu verpacken. Die notwendige Elektrizität und der Dampf wurden in zwei eigenen Kraftwerken erzeugt.

Der Grund dafür, dass die maximal mögliche Monatsproduktion nie erreicht wurde, ist in der Tatsache zu sehen, dass ständig eines der vier Systeme zur Nitrierung in Reparatur war.

Die chemischen Prozesse bei der Herstellung der Nitrocellulose liefen dabei in Bunkern ab, die teilweise aus meterdicken Stahlbetonmauern bestanden, um so feindliche Bombenangriffe abwehren zu können. Eine Bepflanzung der Dächer mit Gras, Sträuchern und Bäumen tat ihr übriges.

Nach dem Einzug der amerikanischen Streitkräfte wurde die Fabrik Aschau am 2. Mai 1945 von der US-Armee in ihre Obhut genommen. Am 7. Juli 1945 begann die Fabrik in Aschau mit der Umstellung auf sogenannte Friedensproduktion: Die Fertigung von Lackwolle, Kernseife und Düngemittel wurde aufgenommen. Dieser Betrieb wurde jedoch im November 1945 auf Befehl der Militärregierung wieder stillgelegt.

Anfang 1946 begann dann in Aschau der Abbau der Reparationsgüter. Im Januar und Februar 1946 wurden die vier Nitrierhäuser zur Vernichtung des Kriegspotentials gesprengt.

Dieser Abbau, der sich auf ca. ein Drittel der gesamten Anlagen belief, wurde in Herbst 1946 wieder eingestellt, da Aschau für das sogenannte E-Programm vorgesehen war. Mit dem E-Programm, das am 1. 11. 46 in Aschau gestartet wurde, hatte es folgendes auf sich:

Schon bald nach Kriegsende wurde die ,,Staatliche Gesellschaft zur Erfassung öffentlichen Guts", die ,,STEG", gegründet. Ihre Aufgabe war die Beseitigung der Kriegsfolgen, die Verteilung der lebenswichtigen Güter an die Bevölkerung, die Durchführung der Demontagearbeiten usw.. Ein Zweig der Aufgaben der STEG war das Munitionsprogramm, das sogenannte E-Programm.

Zwar waren 1946 die meisten Bunker gesprengt und die Demontage im vollen Gange - trotzdem aber lagen im süddeutschen Raum, verstreut über die ganze Landschaft, große Mengen an Munition. Die Amerikaner begannen diese Fund-Munition zu sprengen, andere Bestände wurden schlicht im Meer versenkt. Die Sprengung aber begegnete bald Schwierigkeiten, da den Amerikanern das hierzu nötige Fachpersonal fehlte. Die Militärregierung übergab so den süddeutschen Ländern die Munition zur Entschärfung: Sie sollte in ihre Bestandteile zerlegt werden, die erlangten Rohstoffe konnten für die Friedenswirtschaft nutzbar gemacht werden.

Der Länderrat übertrug daraufhin die Arbeiten zur Entschärfung und Zerlegung der Munition der STEG. Unsichere Munition, das heißt Munition, die nicht sicher entschärft werden konnte oder Munition, deren Entschärfung sich nicht lohnte, wurde gesprengt. Die übrige Munition wurde durch Entfernung der Zündvorrichtungen entschärft.

Nach dem Entschärfen mussten die Sprengstoffe aus des Granaten und Bombenhüllen entfernt werden. Diese gefährlichen Arbeiten konnten in der Regel nicht an Ort und Stelle durchgeführt werden. Die entschärfte Munition wurde in sogenannte in Delaborierungswerke verbracht.

In der amerikanischen Besatzungszone wurden drei solche Werke eingerichtet - eines davon in der ehemaligen Rüstungsfabrik im Werk Aschau. Bomben, Granaten und sonstige Munition wurden so nach Aschau verbracht und dort weiter behandelt.

Folgendes geschah dabei in Aschau: Aus den angelieferten Bomben wurden die Sprengkörper entfernt und die eingegossenen Sprengstoffmengen ausgeschmolzen. Das Ausschmelzen erfolgte dadurch, dass das enthaltene Trinitrotoluol durch unmittelbare Einwirkung von Wasser und Dampf ausgelaugt und aus der Hülle herausgewaschen wurde. Eine andere Sprengstoffart durfte mit Wasser nicht in Berührung kommen. Der Sprengstoff wurde von außen erhitzt und zum Schmelzen gebracht. Der flüssige Sprengstoff wurde dann in kleinen Formen zu Blöcken abgegossen.

Diese Arbeiten in Aschau standen von Beginn an unter immensen Zeitdruck: So ordnete die Militärregierung zunächst an, dass die Auslaugung der Bomben und Granaten bis zum 30. 6. 47 beendet sein müsste. Schließlich wurde der Termin verlängert.

In der Zwischenzeit wurde im Delaborierungswerk Aschau mit Hochdruck in drei Schichten gearbeitet, um die Auslaugung der laufend angelieferten Munition bis Ende 1947 durchzuführen. Auch dieser Termin konnte jedoch nicht eingehalten werden. Es gelang nicht, wie angeordnet, die Delaborierungsarbeiten bis zum 31.12.47 zu beenden, da zu diesem Termin in Aschau noch 5000 Tonnen an zu entschärfender Munition lagerten. Eine weitere Sprengung der Munition wurde so bis zum 1.4.48 erlaubt, jedoch nur mehr die Sprengung, nicht die Auslaugung.

 

Aufzeichnungen der STEG lassen erkennen, daß nach diesem Termin, dem 1.4.48, keine Sprengungen mehr in Aschau durchgeführt wurden. Jedoch lagerten in Aschau im September noch folgende Materialien:

Bestand an Munition: 49 Tonnen

Spreng- und Zündmittel: 0,1 Tonnen

Pulver, Sprengstoffe: 491,1 Tonnen

 

Was mit diesen Vorräten geschah, ist nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass zumindest ein Teil einfach im Erdreich vergraben wurde und dort noch heute die Umwelt beeinträchtigt. Zudem ist bekannt, dass zu diesen Zeitpunkt entsprechende Transportmittel zum Versand der Sprengstoffe an andere Werke nicht zur Verfügung stand. Gemäß Aussagen der STEG vom 6.11.47 war ihr zudem jeglicher Munitionstransport untersagt.

 

Insgesamt waren in Aschau bis 1948 bei der Delaborierung folgende Mengen angefallen:

TNT: 506 Tonnen

NC-Pulver: 747 Tonnen

Amonnitrat 0,9 Tonnen

Schießwolle: 33 Tonnen

Phosphor: 68 Tonnen

Thiodiglykollösung: 541 Tonnen

Aufgrund dieser großen Mengen wird schon deutlich, welch großes Gefährdungspotential in Aschau bei der Delaborierung bestand.

Schon die Auslaugung der Sprengstoffe aus den Bomben und Granaten war gefährlich genug: Zum damaligen Zeitpunkt dachte man noch nicht an Sicherungsvorkehrungen, die verhindern konnten, dass hochgiftige Substanzen wie zum Beispiel Nitrototoluol ins Erdreich oder Grundwasser gelangen. In Anbetracht des von der Militärregierung auferlegten Zeitdrucks waren Maßnahmen zum Schutze der Umwelt auch kaum denkbar.

Noch ein weiterer Umstand ist zu erwähnen: Das Werk Aschau war auch vorgesehen für die Aufarbeitung chemischer Kampfstoffe.

So sollte dort Phosgen, ein Giftgas, das im ersten Weltkrieg als chemischer Kampfstoff eingesetzt worden war, in Verbindung mit der Torfchemie zu Düngemitteln umgearbeitet werden. Ebenso sollte Chlorpikrin, eine schleimhautreizende giftige Flüssigkeit, die ebenfalls als chemischer Kampfstoff Verwendung gefunden hatte, zu Schädlingsbekämpfungsmitteln umgearbeitet werden.

Beide, Phosgen und Chlorpikrin, sind tödliche Kampfstoffe der Grünkreuzgruppe, die ihre schädliche Wirkung auf das Lungengewebe ausüben.

Ob diese Verfahren in Aschau in großen Stil durchgeführt wurden, ist heute nicht mehr bekannt, jedoch haben in Aschau zumindest Laborversuche mit diesen Kampfstoffen stattgefunden.

 

Zum Kapitel

Widerstandsaktionen in Kraiburg - Das Kinderheim in Gendorf

Weiterführende Hinweise erhalten Sie in der Veröffentlichung

"Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus"